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Tempodrom 2019


Ich packe meinen Koffer und nehme mit…

Mit diesem Spiel startet für mich jeder Tourblock. Daran ändert auch Berlin nichts, obwohl es doch die Heimatstadt ist.


Ich packe also meinen Koffer und nehme mit…

Softshoes, Hardshoes, Tanzsneaker, 2x Strumpfhosen, eine schwarze Tanzhose, meine Make-up Tasche, Bandagen und Tapeband, Haarnadeln, Pflaster und Schmerzmittel, eine Trainingshose.

Habe ich an meine Schuhe gedacht? Ich räume alles noch einmal aus. Ja, die Schuhe sind im Koffer.

Ich packe meinen Koffer weiter und lege als letztes ein Lama hinein. Es soll mir Glück bringen.


Tourblöcke unterteilen sich in Phasen. Die erste Phase, das Packen, habe ich vollbracht. Die zweite Phase ist die Ankunft, die dritte die Stellprobe, die vierte das Essen, die fünfte das Make-up und die letzte das Adrenalin.


Meine nächste Aufgabe ist also das Ankommen. Noch während ich im Treppenhaus vor meiner Wohnungstür stehe, mache ich meinen Koffer erneut auf und schaue noch einmal nach meinen Schuhen. Erst dann gehe ich die Treppen hinunter, eine Reihenfolge, die sich als recht sinnvoll herausgestellt hat, wenn man im 4. Stock wohnt. Es ist 15 Uhr, als ich am Tempodrom ankomme.

An einem Veranstaltungsort sehe ich immer zuerst die Techniker, die in der Regel umherlaufen, vereinzelt treffe ich auf Mitglieder der Band und sofort fühle ich mich gut aufgehoben. Jeder hat einen anderen Plan im Kopf, aber alle haben dasselbe Ziel.

Die Suche nach den Umkleiden startet. Im Tempodrom muss man dabei nur dem Chlorgeruch nachgehen, der vom anliegenden Schwimmbad herkommt, welches sich direkt neben dem Eingang der Umkleiden befindet. Schwimmen wäre jetzt nicht schlecht, denke ich, und stelle mir vor, wie wohl eine Cornamusa Show unter Wasser aussehen würde. Ich trete an meinen Platz vor den Spiegeln. Dort finde ich eine eingerahmte Bildercollage und ein neu bedrucktes T-Shirt, auf welchem die Daten unserer Tempodrom Shows stehen. Dabei fällt mir ein, dass ich mein Trainingsoberteil vergessen habe und bin im doppelten Sinne überglücklich über das Geschenk an uns von Nicole und Gyula.


In 15 Minuten müssen wir für die Stellprobe auf der Bühne sein und weil ich wirklich jede einzelne Phase sehr genau aufschreiben möchte, notierte ich, neben meinen Notizen für die Positionen auf der Bühne, die genaue Zeit für jeden einzelnen Tanz, den wir durchgehen. Und damit beginnt Phase 3.

15:15 Opener zuerst.

15:30 Reel of Arrivals

15:45 Finale - ich hätte nach dem Koffer packen etwas essen sollen, vielleicht sollte ich meine Phasen überdenken und eine zweite Essensphase vor der Ankunft hinzufügen.

16:00 Four Leaf Clover

16:07 Angel and Demons - die arme Nicole muss seit zwei Nummern mitsingen und ich frage mich, ob sie weiß, dass ich nach einer getanzten Show noch immer höre, wie sie einzählt.

16:11 Thousands of Feet - ich habe Hunger. Der Fall, nachdem Gyula alias Oisin uns tötet, ist nicht gespielt, ich fand aber, dass er umso imposanter war.

16:22 Haste to the Wedding - ich habe sehr großen Hunger.

16:30 Battle 2 - mein Magen hat aufgegeben und seufzt lautstark. Macht aber nichts, denn alle konzentrieren sich auf Nicoles Singen.

16:39 Trommelshow - und ein Apfel.

16:40 Rival Games

16:43 Home from the Sea

16:45 A-Capella - jetzt ist es vor allem Gyula, auf den wir achten, Nicole muss jetzt auch nicht mehr singen.

16:47 Whiskey in the Jar - wir alle trinken unsere 5. Flasche Wasser.

16:50 Life is a Game - das Leben ist ein Spiel und ich denke an “Ich packe meinen Koffer.“

16:53 Feet of Flames - ich habe Sodbrennen vom Apfel.

16:55 Can You Hear Me - das fragt sich auch mein Magen.

16:58 Pause bis zum Soundcheck und ich nutze die Zeit, um meine Kostüme zu sortieren.

Um 18:04 gibt es endlich Essen. Die vierte Phase. Ich esse an diesem Tag nicht nur Kartoffeln und Möhren, sondern auch etwas Foundation und Puder, weil ich nebenher meine Schminkutensilien herausnehme. Die vierte und die fünfte Phase werden damit zu einer. Das Lama stelle ich neben den Bilderrahmen. Es ist genauso glücklich wie ich, als ich mir die einzelnen Bilder der Collage ansehe. Bei meinem Magen entschuldige ich mich derweilen mit Schokolade.

Um 19:15 haben wir noch einmal eine A-Capella Probe und Gyula wünscht uns allen eine tolle Show. Ich bemerke, wie sich langsam das Adrenalin ankündigt.

Während die Zuschauer eingelassen werden, sind wir noch in den letzten Schminkzügen oder tanzen uns warm, solange bis der Gongschlag ertönt.

Um 20:00 legen wir unsere Hände zusammen. Vorfreue lässt unsere Augen glänzen und ich schaue in lachende Gesichter.


Nun beginnt die letzte Phase. Musik ertönt und Adrenalin schießt durch meinen Körper. Adrenalin ist eine tolle Sache. Es lindert Schmerzen, lässt einen ganz leicht werden und die Zeit schneller vergehen. Es ist eine Art Rauschzustand, den viele von uns so wahrnehmen, als befände man sich in einer Blase. Auf der Bühne geschieht alles schnell und gleichzeitig und der Körper agiert auch ohne den Kopf. Ich erinnere mich daran, wie ich letztes Jahr das allererste Mal auf die Bühne gegangen bin. Ich erinnere mich an das angehende Licht und daran, wie tief ich atmen musste, damit meine Nervosität nicht in Angst endete. Das Gefühl, das erste Mal in das Bühnenlicht zu treten, ist in der Intensivität des Glückes unmöglich zu beschreiben. Das hat sich bis heute nicht geändert. Geändert hat sich aber das Gefühl davor. Denn es ist vor allem Freude und Glück, welches mich hinter dem Vorhang tief atmen lässt, nicht mehr Nervosität oder gar Angst. Es ist die Freude, im Rausch mit der Company tanzen zu können. Nicht nur für sich selbst, sondern für die Menschen, die an diesem Abend zuschauen. Wenn ich heute auf die Bühne gehe, dann, weil ich meine Freude am Tanzen an das Publikum weitergeben möchte. Deswegen ist die Show in Berlin dieses Jahr für mich mein bisheriger Höhepunkt. Denn ich bemerke auch, dass sich die Arbeit an sich selbst und im Training lohnt, dass es nicht darauf ankommt, wie groß die Fortschritte sind, sondern dass man welche macht, dass Freude und Glück mehr wiegen als Rückschläge und Tiefpunkte.


Als wir auf unseren Positionen für Can You Hear Me stehen und den Zuschauern zum Abschied winken, bin ich vor allem erleichtert darüber, dass ich mit großartigen Menschen zusammen diesen Moment erleben kann. Menschen, die genauso gelernt haben, immer weiter zu tanzen und sich nicht aufzugeben. Ich lasse in diesem Moment alle schönen Momente, die mir dieses Jahr in Erinnerung geblieben sind, Revue passieren. Ich denke an meinen Geburtstag beim Probenwochenende in Neuhaus, an das erste Mal als wir in den für uns geschneiderten Kleidern standen, an Weimar mit Goethe und Schiller, an den Ausflug ins Schweriner Schloss, an alle Unterrichtsstunden, die ich in der Tap Connection vertreten konnte, an das Eiscafé in Bad Blankenburg, an Ossi, den glitzernden Koala aus Osterfeld, an die kleine Hündin Lucy, an Rostock und alles, was diesen Tourtag so aufregend gemacht hat. Und ich freue mich auf das Tourabschlussfest morgen Abend. Wie auf der Bühne verfliegt die Zeit, wenn wir alle beisammen sind, viel zu schnell. Dabei muss ich auch an Tommy und an unseren blauen Tourbus, den Yankee Alpha, denken, die uns heute verlassen. Für die beiden winke ich also gerade mit. Aber jeder traurige Abschied hinterlässt die schönsten Erinnerungen.

Es ist 22:30, wir gehen ab und packen unsere Koffer.

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