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Interview mit Nathalie Grünberg




Nathalie Grünberg über irische Mäuerchen, farbige Wellen und Grenzüberschreitungen.


Nathalie, die Schöpferin dieser Interviewreihe! Beginnen wir mal ganz von vorne mit dir. Am Anfang war – ?

Wenn wir über die Interviewreihe sprechen, dann war und ist am Anfang die Dankbarkeit. Ich würde mich nämlich zuerst gerne bei Gyula bedanken, dem eigentlichen Schöpfer der Interviewreihe, dass er mir mit seiner Idee die Möglichkeit und alle Freiheiten gegeben hat, dieses Projekt zu kreieren und umzusetzen.

Nun zur eigentlichen Frage. Ich habe zuerst an ein Lachen gedacht, doch wenn ich genauer darüber nachdenke, dann war am Anfang vermutlich ein Geräusch. Geräusche, die sich strukturierten und zu Rhythmen wurden. In der Natur gibt es eigentlich nur rhythmische Verläufe, ohne Rhythmus wäre nichts. Das Leben wird gesteuert von Rhythmen. Rhythmus macht lebendig, ist ein lebenspendendes Element. Also muss es von vornherein dagewesen sein.


Und in unserem Leben spielt der Rhythmus auch noch durch das Tanzen eine zentrale Rolle.

Das stimmt. Am Anfang verstand ich nicht, dass Rhythmus nicht nur eine sportliche Herausforderung, nicht nur eine Kopfsache ist, sondern ein Zusammenwirken von Körper und Geist. Das ist mir erst klargeworden, als ich darüber nachgedacht habe; und durch die Interviews. Auf die Frage, was Tanz für jeden einzelnen bedeute, kamen ganz verschiedene Antworten und in jeder einzelnen konnte ich mich wiederfinden, ohne aber meine persönliche Interpretation festlegen zu können. Jetzt weiß ich: Tanzen bedeutet für mich, eine Einheit zwischen Körper und Geist zu schaffen.


Die Tanzart spielt natürlich auch eine Rolle, ob man einfach dem natürlichen Drang sich zur Musik irgendwie zu bewegen nachgeht oder eine bestehende Tanzart.

Was ich spannend finde ist, dass jeder Mensch auf der Welt tanzt. Ich kenne keinen, der Musik nicht als etwas ganz Eigenes wahrnimmt, auch wenn es nur im Kopf stattfindet. Das, was Menschen verbindet, ist die bewusste Wahrnehmung von Tanz und Musik. Die verschiedenen Tanzarten geben dieser Wahrnehmung nur eine Form.


Und wie ordnet sich Irish Dance da ein? Es ist eigentlich eine sehr einschränkende Tanzform.

Sehr. Im Irish Dance muss man wirklich lernen, sich frei zu fühlen, vor allem im Hardshoe, weil man durch den Rhythmus so sehr gebunden ist. Und gleichzeitig ist es umso schöner, wenn man den Rhythmus verstanden hat, weil ich dann immer das Gefühl habe, dass Kopf und Körper dasselbe Spiel spielen. Es gibt da vielleicht auch noch den Unterschied bei der Wortwahl. Freiheit fühle ich beim Tanzen nicht, wohl aber bei der Kreation dieser Interviews beispielsweise, weil ich nur wenig, aber genügend Grenzen bekam, um diese Freiheit entstehen zu lassen. Beim und vor allem nach dem Tanzen fühle ich mich befreit, d.h. auf eine Art losgelöster, als ich mich vorher in meinem Körper und natürlich in meinem Geist fühlte.


Du hast ein Jahr in Irland, in Carrigaline, Cork gelebt. Hat der Aufenthalt dort dein Verständnis von Musik und Tanz verändert oder besonders geprägt?

Als ich nach Irland ging, war ich ahnungslos. Ich wusste auch nicht, warum ich nach Irland fahre, es war eine komplett unüberlegte Entscheidung. Ich hatte nichts über die Insel gelesen. Irish Dance und sogar Riverdance waren für mich keine Begriffe und ich wusste nicht einmal, dass es dort Kobolde gibt.

Wenn ich mein früheres Ich mit einem Wort hätte beschreiben müssen, würde ich sagen ich war verklemmt. Ich habe mich für alles geschämt, was mit Bewegung oder mit dem aus sich herauskommen zu tun hatte, ich war sehr steif. Immer schon sportlich, aber eben sehr steif.

Die irische Musik war es, was mich letztendlich für die Außenwelt geöffnet hat. Mit ihr kam ich zum ersten Mal in einem Pub in Cork City in Kontakt, wo es gängig ist, einfach gemeinsam Musik zu machen, ohne sich vorher abzusprechen. Ich war erstaunt, dass es möglich ist, solch eine Einheit und auch Familiarität mit wildfremden Menschen so einfach zu erschaffen. Zum ersten Mal habe ich dort einen positiven Bezug zu Musik gespürt, zum ersten Mal wurde ich zum Mitwippen hingerissen und zum ersten Mal machte mich Musik glücklich. Ich habe dafür ein ganz bestimmtes Bild im Kopf: In Irland legen sich die Wolken immer wie eine dicke Decke über das Land, aber zwischendurch bahnt sich die Sonne ihren Weg und segnet das Land mit kleinen Heiligenscheinen. Irgendwie verbinde ich die irische Musik immer noch mit der Sonne, die durch die Wolke bricht.


Und wie kamst du zum Tanz?

Den irischen Tanz lernte ich erst auf der allmonatigen Freitagabend-Tanzveranstaltung kennen, wo sich Menschen zum Ceilietanzen trafen. Ich bin da nur zum Zugucken mitgekommen, aber als es losging konnte ich meinen Po nicht auf dem Stuhl halten, weil ich sofort von den anderen mitgerissen wurde. Das war das erste Mal, dass ich aus mir richtig herauskam. Kennst du die kleinen traditionellen irischen Mäuerchen? Die aus Stein gebaut sind und die vom Wind immer wieder zerstört werden, sodass der Bauer sie immer wieder neu aufbauen muss? An diesem Freitagabend verwandelte sich meine solide Backsteinmauer, die ich mir über die vielen Jahre schön aufgebaut hatte und die mich gut beschützt hatte, in ein irisches Mäuerchen. Und mit einem Windzug, der Fröhlichkeit, die die Menschen und die Musik mit sich trugen, wurde das Mäuerchen zum Einstürzen gebracht. Ich entschied mich dazu, mit dem Tanzen anzufangen, weil ich dieses Gefühl nie wieder missen wollte und nie wieder zurück wollte hinter meine Backsteinmauer. Heute ist die Mauer zwar noch da und auch ein paar Wölkchen schweben noch herum, aber es ist ein irisches Mäuerchen, das leicht einzustürzen ist durch alle Mitglieder der Tap Connection, der Company, Gyula und Nicole, die – von weiß ich woher – so viel Geduld für uns alle mitbringen.


Am Anfang war für dich also die Musik. Und dann kam der Tanz.

Genau. Musik als Ursprung. Ich stelle mir Musik immer wie eine Welle vor, eine farbige Welle, und die Farben unterscheiden sich je nach dem, was ich gerade tanze. Wenn ich mich beim Tanzen bewege, stelle ich mir auf dem Boden immer diese Welle vor und versuche mich nach ihr zu orientieren. Was manchmal dazu führt, dass ich komplett träume und abschweife, weil ich von dieser Welle so fasziniert bin, dass mein Körper nicht mehr funktioniert, aber das ist wahrscheinlich die Herausforderung beim Tanzen, dass man beides --- verträumt und fokussiert -- zugleich bleibt. Und komplett in die Welle eintaucht und nicht nur auf ihr herumbalanciert. Es kann einem vorkommen wie die Fahrt auf einer Wasserrutsche: Manchmal ist es ein bisschen unheimlich, weil man glaubt, gleich aus der Bahn zu fliegen, aber man muss nur vertrauen und es mit sich geschehen lassen. Das ist in der Vorstellung sehr schön, aber so viel schwieriger umzusetzen, besonders dann, wenn das Eintauchen in diese Welle nicht funktionieren will.


Neben dem Tanzen studierst du auch noch Germanistik und Russistik an der Universität Potsdam. Wie lässt sich dein Leben als Tänzerin mit deinem Leben als Linguistin vereinbaren?

Sprachen sind meine Leidenschaft. Die Grenzen der Sprache sind das Faszinierende. Ich versuche, diese Grenzen weiter zu verschieben, versuche herauszufinden, wie weit es noch geht. Mich interessiert es sehr, wie Sprache unser Denken beeinflusst, unsere Kultur prägen kann. Beeinflusst die Sprache das Denken oder das Denken die Sprache?

Ich mag es nicht, eingeschränkt zu sein. Grenzen sind wichtig, das sind die Prämissen für Freiheit und des irdischen Leben, aber ich finde, dass Grenzen vor allem dafür existieren, um verrückt oder heruntergerissen zu werden. Und oft bemerkt man gar nicht, dass die stabilsten Grenzen von einem selbst angelegt worden sind. Es geht darum, den richtigen Weg zu finden, damit umzugehen. Das ist wie bei Improvisation, wo vollständige Freiheit lähmend wirken kann, Grenzen aber die Kreativität enorm anstacheln. Durch Grenzen werden wir frei. Das eine kann ohne sein Antonym nicht existieren.

Grenzverschiebung, um zu meiner Antwort zu gelangen, spielt auch in meinem täglichen Leben eine Rolle. Es ist schwer, die zwei großen Passionen – Tanz und Sprache – in dem Rahmen von vierundzwanzig Stunden unterzubringen. Aber Tanzen hat dazu beigetragen, dass ich jetzt vieles überdenke. Leider auch, dass ich etwas unsozial geworden bin, da es mir unmöglich ist, alle meine Freundschaften und Kontakte genügend zu pflegen. Das tut mir sehr leid, aber da merkt man auch, welch großen Einfluss die irische Musik und der Tanz, vor allem aber die Company haben. Mein Lebensplan wurde völlig aus der Bahn geworfen. Das macht Angst, aber glücklich!


Kommen wir zu den Blitzfragen.

Habe ich jetzt eigentlich eine privilegierte Stellung? Kann ich Hard und Soft machen?


Eigentlich kann jede Frage schwer oder einfach sein. Es hängt von der Herangehensweise ab: Erkunde ich jetzt den Sinn des Lebens oder Folge ich dem spontanen Impuls? Ja, du kriegst beides! Erstens: Nacht oder Tag?

Tatsächlich eher Nacht – sie übt auf mich eine unglaubliche Faszination aus. Ich mag auch die Morgenstunden, wenn ich sie für mich habe. Aber metaphorisch gesehen nehme ich Nacht, da ich da immer an Dunkelheit und Sterne denke und den daraus resultierenden Kontrast zwischen hell und dunkel liebe.


Lieblingsschriftsteller:

Ich dachte früher, ich würde Goethe nicht mögen, aber diese Sichtweise hat eine dramatische Läuterung erfahren. Ich mag tatsächlich Daniel Kehlmann sehr. Mein Lieblingsbuch ist Die Vermessung der Welt. Ich mag seine Sprache, sie ist in diesem Buch sehr ironisch und er schafft es, intelligenten Sprachstil mit einer spannenden Handlung zu verbinden.


Franz Kafka? Dein Schreibstil ähnelt seinem so sehr...

Kafka. Wie konnte ich ihn vergessen. Man muss sich Zeit für ihn nehmen. Er ist ein schrecklich komplizierter Charakter. Mich fasziniert seine Raummetaphorik; in vielen seiner Werke hat er labyrinthartige Räume dargestellt. Er sucht immer nach einem Ausweg, scheint aber aus diesen Labyrinthen nicht rauszukommen. Da erkenne ich auch die Mauern wieder, von denen ich sprach. Man muss ihn mit emotionalem Abstand lesen, nicht in die Handlung und die Sprache versinken, sonst ertrinkt man. Vielleicht fehlte Kafka Irish Dance und irische Volkmusik in seinem Leben. Vielleicht auch die richtigen Mentoren.


Würdest du lieber etwas neu erschaffen, etwas entdecken oder etwas verbessern?

Neu erschaffen, definitiv. Kreation, Kreativität. Kreativität hat ihren Ursprung im Bauch und steigt dann hoch zum Herzen, welches sie in den ganzen Körper pumpt. Das ist für mich die Definition von Glück. Etwas zu erschaffen, kann außerdem zu Entdeckungen und Verbesserungen führen.


Welche eine übernatürliche Kraft würdest du am liebsten besitzen?

Unsichtbar werden zu können, wäre schon effektvoll, stell dir vor, wir könnten das in eine Cornamusa Show einbauen! Vielleicht Gedanken lesen? Aber was erhoffe ich mir zu hören? Gedanken sind so privat. Ich ergründe gerne die Tiefen der Seele, aber das würde wohl zu weit gehen. Fliegen? Nein, ich nehme die Superkraft, Menschen ihre Ängste nehmen zu können. Solche Ängste, die nicht von rationaler Natur sondern psychosomatisch sind.


Sprechen oder schweigen?

Schweigen. Aber beides kann schwer fallen.


Schwarz oder weiß?

Ich sage schwarz. Und denke weiß.


Sternzeichen?

Skorpion.


Welches Tier bist du?

Schwere Frage. Ann hat gesagt, ich sei wie eine Antilope. Da habe ich mich gefragt, ob es auch Prolopen gibt, oder was es ist, das die Lopen so anti macht. Scheint mir eine sehr negative Bewegung zu sein.


Und ein Blick in die Tanztasche verrät?...

Drei Paar Tanzschuhe, Kalender, Stifte, ein Notizheft, das Diktiergerät, ein Beutel Lakritztee, ein Buch, Fußroller, alle Haarspangen, die ich jemals besessen habe, und an der Tasche hängt ein Monster.


Hast du auch ein Maskottchen?

Noch nicht wirklich, aber das kommt noch! Ich habe verschiedene Glücksbringer. Die Haarspangen von Nicole, die Muschel von Sofya, das Notizbuch von Svenja, ein Papierknödel von Gyula und einen Engel von dir.


Letzte Frage: Durch deine wunderbare Arbeit an dieser Interviewreihe hast du uns spannende Einblicke in die innere Welt unserer Tänzer gewährleistet und dafür möchte ich mich an dieser Stelle im Namen der gesamten Leserschaft bedanken. Siehst du in deiner Schreibtätigkeit eine Zukunft, können wir auf mehr hoffen?

Ja. Das war jetzt ein sehr selbstsicheres Ja, dabei kann ja keiner in die Zukunft schauen. Doch ich merke, wie meine Denkweise auf literarischer Sprache basiert; wie schön ist es, wenn man beobachtet, und dabei auf einer Buchseite vor dem inneren Auge ein Wort aus einem Gedanken streicht, es durch ein anderes ersetzt, damit der Gedanke zur Beobachtung durch eine schönere Formulierung abgeschlossen werden kann?

Durch die Interviews habe ich bemerkt, wie jeder Mensch plausibel wird und jeder auf eine bestimmte Art wunderschön ist. Das literarisch festzuhalten, war eine unglaublich schöne Aufgabe. Jeder Mensch ist eine Geschichte und das Notieren bestimmter Lebensphasen verleiht diesen Geschichten eine beständige Form. Ich bin sehr dankbar, dass ich auf diese Weise die Companymitglieder noch besser kennenlernen durfte. Durch die Interviews habe ich erkannt, dass die Company voller starker Charaktere ist. Das ist wahrscheinlich im Endeffekt auch das, was uns am meisten ausmacht. Die Stärke, die Individualität, die von uns ausgeht. Alle haben auf irgendeinem Wege gelernt zu kämpfen. Und es lohnte sich. Und es wird sich weiterhin lohnen.

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