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Interview mit Ganna Boitsova


Ganna Boitsova über die deutsche Sprache, ihren Lebensweg von einer Millionärin zur Tänzerin und über eine verdrehte Cornamusashow.


Ann, Anna, Ganna – bitte hilf mir kurz weiter und kläre die allgemeine Verwirrung auf!

Also mein richtiger Name ist Ganna. Ganna Boitsova. Das Problem ist aber, dass ich in Deutschland, bei der Nennung meines richtigen Namens, oft gefragt werde: „Ach, wie das afrikanische Land?“. Selbst eine Kollegin von mir, mit der ich schon lange zusammengearbeitet habe, hat mich bei einem Meeting als „Gana Botswana“ vorgestellt. In diesem Moment wollte ich am liebsten aufstehen und die Titelmusik von König der Löwen singen.


Schönes Bild!


Ich hätte das wirklich mal machen sollen. Eigentlich wird mein Name so ähnlich wie Hanna ausgesprochen, aber nicht wie „h“, sondern mit einem Laut, den es in der deutschen Sprache nicht gibt. Es gibt im Ukrainischen nämlich zwei G-Laute.


Ann ist aber auch okay?


Na klar! Der Name ist durch die Tap Connection entstanden. Als ich Nicole das erste Mal geschrieben hatte, setzte ich die Abkürzung Ann ans Ende der Mail. Nach Jahren des Herumprobierens und dem Ärger mit meinem Namen dachte ich mir, dass man in einem fremden Land von Beginn an einfach einen Namen für sich festlegen muss, damit es nicht zu Missverständnissen kommt.


Gut, dass wir das ein für alle Mal klären können!


Ja, das einzige Problem, was ich nach Einführung dieses Namens hatte, war, dass deutsche Verben manchmal mit einem „an-“ anfangen. Als ich noch nicht sehr gut deutsch sprechen konnte, habe ich mich ständig angesprochen gefühlt. Das hat lange gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt habe.


Weißt du, was dein Name bedeutet? Wo wir nämlich gerade über das Präfix „an-“ sprechen.


Er bedeutet an-mutig.

Wow, das ist mir gerade erst klar geworden!


In der Company hat jeder zwei Leben: Ein Tänzerleben und ein anderes außerhalb des Studios, oder würdest du diese Unterscheidung gar nicht treffen?


Ich würde nicht sagen, dass ich zwei Leben habe. Natürlich wechseln die Orte, an denen ich mich aufhalte und auch die Menschen, mit denen ich Zeit verbringe, aber diese Wechsel beschreiben ja trotzdem nur ein Leben – mein Leben. Natürlich unternehme ich mit meinen Freunden außerhalb des Tanzens andere Dinge als mit der Company, auch die Gespräche unterscheiden sich stark. Doch das alles ist ja trotzdem Teil meines Charakters, der sich den unterschiedlichen Bedingungen anpasst. Diese Wechsel sind, denke ich, auch nötig, denn sie schaffen einen gesunden Ausgleich.


Wer warst du, bevor der Tanz ein Teil deines Lebens wurde?


Ein gehorsames Kind mit dicken Wangen, das gerne Ballerina werden wollte. Meine Freundin und ich sind mal zusammen zu einem Casting einer Tanzschule gegangen. In der damaligen UdSSR musste man ein Talent für Sport und Tanz zeigen. Man kann nicht einfach tanzen gehen, weil man für den Unterricht bezahlt. Es wird ausgewählt, ob du dafür geeignet bist oder nicht. Ich war damals nur etwas dicklich und schon sehr groß für mein Alter, woraufhin die zwei Lehrerinnen beim Casting sehr gemein zu mir wurden. Danach war ich etwas gebrochen und dachte, ich könnte nie tanzen.


Ist es in der Schule ebenso streng gewesen?


Leider ja. Durch das sowjetische Regime durften wir keine eigene Meinung haben, außer die der Lehrbücher. Selbst in Aufsätzen zu einem literarischen Werk musste man sich an die sowjetische Kritik halten. Wenn ich heute dieselben Werke von damals noch einmal lese, verstehe ich diese Bücher auf einmal auf ganz andere Art und Weise. Helden sind wirkliche Helden und keine Verbrecher, die Systeme stürzen wollen. Heutzutage hat sich die nun unabhängige Ukraine wieder zum Besseren gewandelt.


Wie ging es nach der Schule weiter?


Ich habe Informatik und Rechensysteme studiert. Auch diese Wahl wurde mir von der Universität durch eine Aufnahmeprüfung abgenommen. Ich hatte allerdings nur ein Ziel: Möglichst alle Examina zu bestehen, damit ich weiter studieren kann. Ich wollte am Ende den Schein in der Hand halten, mit dem ich endlich freie Entscheidungen treffen konnte! Durch das viele Lernen und meinen Ehrgeiz bekam ich Gastritis. Ich bin schon immer sehr fleißig gewesen. Ich bekam, bevor ich an die Universität ging, sogar meine ersten und letzten Millionen. Nach der Schule bekommen gute Schüler und Schülerinnen nämlich einen Geldpreis.


Du warst Millionärin!


Ganz genau! Nur, dass wir zur Zeit des Wechsels lediglich Coupons bekamen. Ich war also eine Millionärin mit Coupons.


Was für ein Lebensweg. Erst Millionärin und heute Tänzerin.

Was bedeutet das Tanzen für dich?


Tanzen beschreibt für mich einen Weg. Einmal der Weg zu mir selbst, aber auch der Weg aus mir heraus. Das kann sich im konstanten Wechsel befinden. Manchmal findest du dich im Tanz, manchmal rennst du vor dir weg.


Kannst du dich an einen besonders spaßigen Moment während einer Cornamusa-Tour erinnern?


Oh ja! Das war letztes Jahr. Wir tanzten den letzten Tanz der Show in blauen Kleidern, welche vorne bis zum Hals hoch geschnitten und mit Steinen bestickt sind. Da wir uns in relativer Dunkelheit und in Eile umziehen müssen, hatte ich nicht bemerkt, dass ich das Kleid verkehrt herum angezogen hatte. Ich wunderte mich beim Anziehen nur, dass ich das Kleid nicht gut zubekam. Selbst Timo, den ich nach seiner Hilfe gefragt hatte, bemerkte den Fehler nicht. Er kann sich das bis heute nicht vergeben.

Ich habe mich die ganze Zeit über auch irgendwie leicht erwürgt gefühlt, ich dachte aber, dass das einfach an mir lag.


Das heißt, du bist so noch auf die Bühne?


Ja! Und ich erinnere mich noch an den Moment, als wir beim Tanzen auf der Bühne unsere Köpfe senken mussten und ich an mir herunterschaute, wobei ich sah, dass mein Kleid nicht mehr glitzerte. Ich dachte noch, dass das ja sehr schade sei, dass so viele Steine schon abgefallen sind. Ich hatte es immer noch nicht begriffen, dass die Steine nicht abgefallen waren, sondern sich einfach auf meinem Rücken befanden. Wir beendeten die Show und ich fühlte mich wegen des würgenden Gefühls am Hals immer noch etwas unwohl. Auf dem Weg herunter zum Autogrammtisch sah ich zum ersten Mal mein Spiegelbild in einer Fensterscheibe. Ich bekam den Schock meines Lebens! Doch da die Zeit zu knapp war, konnte ich mich für die Autogrammstunde nicht mal mehr umziehen…


Bis zur Autogrammstunde ist das keinem anderen aufgefallen?


Es ist keinem aufgefallen, bis wir die Bilder des Fotographen bekamen! Und dabei ist es schon auffällig gewesen, dass der Verschluss oben meinen Hals einschnürte, der vordere Bereich kürzer als der hintere gewesen ist und der hintere statt der vordere Teil glitzerte!

Wir haben Tränen gelacht beim Anschauen der Fotos!


Kann ich mir vorstellen!

Vor diesem Moment konnte dich nicht mal dein Maskottchen bewahren…


Nein, aber vielleicht wollte mein Igel Gyusi sich auch mal ein bisschen amüsieren. Er erinnert mich sehr an mich. Außen stachelig, aber innerlich sehr verwundbar.


Gyusi?


Das ist der Spitzname von Gyula, jedenfalls würde man seinen Namen so abkürzen. Da Gyula mich zum Kauf überredet hatte, taufte ich den Igel nach ihm.

Gyusi war übrigens das erste Maskottchen in der Company.


Du hast das also in die Wege geleitet!


Tja, wir sind beide die Ältesten in der Company!


Bist du nun bereit für die Blitzfragen?


Nein!


Nein?


Na, das ist doch der Sinn dabei, oder?


Der Punkt geht an dich. Hard oder Soft?


Lass uns Hard versuchen!


Als welches Tier würdest du wiedergeboren werden?


Ich hätte spontan gesagt als Katze aber ich denke doch eher an einen Igel. Oder doch lieber eine Qualle! Die macht so tolle Bewegungen!

Oder nein, vielleicht möchte ich lieber eine Fliege sein!


Eine Fliege??


Keine gute Idee, oder?

Vielleicht ein Tiger. Oder ein Chamäleon!


Jetzt haben wir alle Tierarten durch!

Sollte dein Leben eher als Actionfilm oder als Musical verfilmt werden?


Oh, als Musical! (singt die Titelmusik von Cats)


Erzähle mir eine Wahrheit oder eine Lüge über dich!


Ich habe ein Tattoo!


Die letzte Frage:

Darf ich schnell noch einen Blick in deine Tanztasche werfen?


Die ist aber nicht aufgeräumt. Ich mache meine Taschen selten sauber, deswegen sind hier alte Flyer drin, ungeöffnete Briefe, alte Snacks, Haarlack für die nächste Show. Oh, der Mascara, den ich mir vor ein paar Monaten mal gekauft habe… ach, da ist auch mein Lippenstift!


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