Interview mit Sofya Grishkova
Sofya Grishkova über den Weg vom Hund zum Astronauten, den Punkt zwischen Raumschiff und Fahrrad und Wasserfälle im Ozean.
Was hast du heute in deiner Tanztasche mit?
Natürlich habe ich niemals Tanzschuhe dabei…
Wer braucht die schon…
Eben! Aber dafür Pflaster und Süßigkeiten.
Süßigkeiten? Interessant!
Ich hätte das vermutlich verschweigen sollen.
Ich nehme aber auch immer ein Buch mit!
Was liest du gerade?
Ich lese tatsächlich immer mehrere Bücher gleichzeitig. Wenn man mehrere Geschichten gleichzeitig liest, dann eröffnen sich ganz neue Perspektiven. Man kann Parallelen zwischen den Geschichten ziehen, die einem anders entgangen wären.
Momentan lese ich zwei unterschiedliche Harry Potter-Teile und ein Buch, welches von einem Architekten geschrieben und gestaltet worden ist. Es ist in einer Sprache und einer Schrift geschrieben, die es nicht gibt, kombiniert mit sehr surrealen Bildern.
Du kannst in diesem Buch demnach deine eigene Geschichte kreieren?
Richtig. Ich mag es sehr, dass dieses Buch die Vorstellungskraft fordert. Das ist, als wäre man wieder ein Kind, welches noch nicht lesen kann. Man schlägt das Buch auf, und es bedarf nicht den genauen Text um die Geschichte zu verstehen, da die Bilder dir die Geschichte erzählen können, mit Hilfe deiner Fantasie.
Erinnerst du dich daran, was du werden wolltest, als du noch ein Kind warst?
Als ich fünf Jahre alt war, wollte ich ein Hund werden.
Ich hatte sogar eine Felljacke aus Kunstfasern, welche ich die ganze Zeit getragen habe. Ich dachte, dass die Felljacke irgendwann ein Teil von mir werden kann.
Ich nehme an, dass daraus leider nichts geworden ist?
Nein, leider nicht. Aber als ich etwa neun Jahre alt war, habe ich angefangen „Bücher“ zu schreiben. Wenn du das aufschreibst, dann schreibe „Bücher“ bitte in Anführungszeichen.
Natürlich…
Und gleichzeitig wollte ich Astronaut werden.
Meine Eltern dachten nämlich, dass Schreiben keine sichere Berufswahl sei.
Astronaut zu werden, erscheint da wesentlich sicherer.
Nun warst du aber wahrscheinlich nicht im All und bist auch kein Hund geworden.
Du bist Tänzerin! Was genießt du beim Tanzen am meisten?
Die Transformation. Die Transformation, die bei den Musikern und ihren musizierenden Händen anfängt und die durch den Raum in die Füße geht. Auch die Transformation, die ich als Tänzerin durchlebe. Ich mag das Studio schlecht gelaunt und traurig betreten, doch sobald ich tanze, werde ich vom Glück erfüllt. Es ist jedes Mal wie ein kleiner Geburtstag!
Wenn wir schon über Wandel sprechen: Du bist in Russland geboren, später nach St. Petersburg gezogen, heute lebst du in Berlin. Das sind einige Wandelungsprozesse.
Wie war es, in deinem Heimatort aufzuwachsen?
Ich bin am Rande des Kontinents aufgewachsen, also der südlichste Ostteil von Russland, sehr nahe an China. Mein Vater arbeitete dort in der Navy. Die Winterzeit dort ist mild und düster, die Sommertage sehr heiß und feucht. In meinen Träumen komme ich oft an diesen Ort mit seinen Erinnerungen zurück, denn durch das Meer roch alles nach Salz, sogar die Steine und die Blumen.
Welche Erinnerung genau begleitet dich noch heute in deinen Träumen?
In den Sommermonaten mieteten wir uns ein Häuschen nahe am Meer. Jeden Samstagmorgen standen meine Mutter und ich dann auf einer Klippe und haben den Sonnenaufgang angesehen. Wir warteten dort auf das Schiff, mit welchem mein Vater jedes Wochenende nach Hause kam. Wenn wir das Schiff am Horizont sahen, sind wir zum Dorf hinunter gegangen, um meinen Vater zu empfangen. Am Nachmittag picknickten wir zusammen am Meer. Ich habe dann immer im Schoß meines Vaters gelegen und die aufsteigende Glut des Lagerfeuers beobachtet. Diese Erinnerung ist mir bis heute sehr präsent!
Und dann seid ihr vom Meer weg und nach St. Petersburg gezogen?
Ja, da war ich zwölf. Dort habe ich auch mit dem Irish Dance angefangen.
Wenn Momente durch Wandel zur Erinnerung werden, werden die nächsten Momente der Anfang einer neuen Erinnerung! Erinnerst du dich also noch, was dich dazu bewegt hat, das Tanzen anzufangen?
Ich erinnere mich nur noch an die irische Musik. Ich kann dir nicht einmal mehr sagen, wo ich sie zum ersten Mal gehört habe. Nur, dass ich Volksmusik sehr mochte und die irische, volkstümliche Musik mich wahrscheinlich überzeugt hat.
Vermisst du die See heute?
Ich vermisse die See immer. Ich glaube das verschwindet nie.
Das Meer hat dich in St. Petersburg bis in das Studium begleitet.
Stimmt, ich habe Ozeanographie studiert. Das beinhaltet viel Mathematik und Physik. Mein damaliger Professor sagte mal, dass das gesamte Meer eine einzige Formel sei, die vom Menschen niemals verstanden werden könne.
Das unergründliche Meer!
Wusstest du, dass es in Dänemark einen Wasserfall im Ozean gibt? Und das ist sogar der größte Wasserfall auf der Erde!
Es können Wasserfälle im Ozean entstehen?
Technisch ja, denn es ist Wasser, das fällt. Ein solcher Wasserfall entsteht durch einen Mix aus warmen Wasser und kaltem Wasser. Da kaltes Wasser schwerer ist als warmes, schiebt es sich unter das warme Wasser, wodurch unter dem Wasser ein Wasserfall entsteht.
Was magst du am meisten am Ozean?
Die Sicht aus der Wissenschaft ist sehr spannend, doch es gibt andere Weisen, das Meer zu betrachten. Die See ist für mich das große Reservoir für die Träume und Erinnerungen der Menschen. So viele Gefühle –schlechte und gute- sind dem Ozean gewidmet. Tränen, Reue, Freude und vor allem Erinnerungen. Das ist die Poesie des Meeres. Es wiederspiegelt die Seele des Betrachters.
Du hast dich nach deinem Studium dazu entschieden, nach Berlin zu ziehen. Warum?
Das war einfach eine Reaktion, denke ich. Meine Lehrer an der Universität haben schon gewusst, was ich in 5 Jahren machen werde, ich aber nicht. An diesem Konzept konnte also etwas nicht richtig sein. Also habe ich sehr spontan gesagt, dass ich ins Ausland gehen werde, obwohl ich keine Ahnung hatte, dass es Berlin werden würde.
Wie hast du zu Nicole und Gyula gefunden?
Ronan Morgan, war nicht nur mein Tanzlehrer in St. Petersburg, sondern früher auch der von Gyula. Ronan hat mich also an Gyula weitergeleitet.
So schließt sich der Kreis!
Wie kombinierst du heute das Tanzleben mit deinem Privatleben?
Manchmal fühlt es sich an wie der Wasserfall, über den wir gesprochen haben. Alles fällt unstrukturiert auf einen hinab.
Hier ist der gesamte Ozean, bitteschön.
Genau so! Und dann landet ab und zu noch ein Fisch auf dem Kopf, der einem mit seiner hinteren Schwanzflosse ins Gesicht schlägt.
Wie bleibst du, trotz eines Fisches auf dem Kopf, während oder vor einer Show konzentriert?
Über Konzentration habe ich viel nachgedacht. Irgendwann bin ich mit der Idee des Raumschiffes und des Fahrrades gekommen.
Das wird interessant…
Bei einem Raumschiff müssen viele Mechanismen gleichzeitig funktionieren. Eine Technik, die an Perfektion grenzen muss, damit im All keine verhängnisvollen Fehler passieren. Das Raumschiff repräsentiert also die Konzentration. Fahrradfahren ist etwas, dass du irgendwann einmal gelernt hast und niemals mehr verlernen kannst. Es läuft automatisch. Bei einer Show versuche ich den Punkt zwischen dem Raumschiff und dem Fahrrad zu finden, also die Mitte von Konzentration und der Freiheit, die einem der Automatismus geben kann. Denn wenn du zu konzentriert bist, leidet deine Performance, wenn du zu automatisiert bist, leiden die Schritte.
Hilft dir dein Maskottchen dabei?
Das muss ich leider alleine schaffen. Aber Summerset, so heißt er, ist wie ein Freund für mich. Er ist ein Nilpferd ohne Arme. Er hat definitiv seine eigene Personalität!
Nenne mir mal drei Eigenschaften, die ihn auszeichnen!
Er sieht aus wie ein Poet, ist hypochondrisch und liebt Katzen!
Nun ist es ist Zeit für die Blitzfragen! Hard oder Soft?
Hard!
Das Erste, an was du denkst, wenn du aufstehst und das Letzte, an was du denkst, bevor du schläfst?
Meine Fenster sind schmutzig!
Wenn du für einen Tag ein Tier sein könntest, welches wäre es und warum?
Irgendein Vogel! Ich möchte die Welt mal ganz frei von oben sehen.
Würdest du lieber eine Biographie über dich schreiben lassen oder würdest du lieber eigenhändig deine Autobiographie schreiben wollen?
Lieber meine eigene Autobiographie!
Was würde dann auf dem Buchcover stehen?
„Sie wusste nicht was sie wollte, aber sie hat wirklich sehr hart daran gearbeitet, um es zu erreichen.“
Die letzten Fragen:
Das All oder die Tiefsee?
Neeein, das kannst du mir nicht antun!
Okay, also ich mag das Gefühl die Tiefen zu spüren und viel Wasser um mich herum zu haben.
Aber ich möchte mich nicht zu sehr in die Tiefen begeben, also nehme ich das All.
Suchst du nach Orten oder nach Menschen?
Primär nach Orten, doch ich hatte immer das Glück, tolle Menschen kennenzulernen.
Welchen Moment würdest du gerne noch einmal erleben?
Die Erinnerung meiner Kindheit, bei Sonnenaufgang auf der Klippe zu stehen und auf das Schiff meines Vaters zu warten.